Ein Post von Birgit Kolb
„Bleib weg von denen – die sind anders als wir.“ Ich kann mich noch gut an meine Jugendzeit erinnern, als kleine Wanderzirkusse noch häufig in meiner Gemeinde gastierten. Sie wurden häufig von Bevölkerungsgruppierten Minderheiten, der Romas, betrieben. Den Zirkusvorstellungen zuschauen, ja das durfte ich schon. Aber ansonsten warnten meine Eltern mich vor diesen Pferdeartisten, Löwenbändigern und schillernde Gestalten. Ich habe das damals nicht verstanden, denn ich konnte mit diesen Leuten in Kontakt treten. Die waren doch ganz normal: lachen gemeinsam, essen gemeinsam und leben zusammen. Als Kind fand ich es sogar cool, weil sie jeden Tag zusammen sein konnten - sogar mit ihren Pferden! Die Kinder gingen selten zur Schule und schliefen in Wohnwagen – was für ein Abenteuerland. Im Gegensatz zu meiner Familie. Meine Eltern hatten ein Haus, waren berufstätig, hatten wenig Zeit für mich und lebten brav nach erlernten preußischen Tugenden. Und zu allem Überfluss musste ich täglich in die Schule. Und, dass wohl allerschlimmste - ich durfte kein Pferd haben. Zu teuer, war das Argument meiner Eltern.
Meine kindliche Idylle und Abenteuerromantik von der bunten Zirkuswelt haben sich in eine trostlose Klarheit verwandelt. Heute weiß ich, dass es Menschen bzw. ganze Völker gibt, die häufig aufgrund ihrer Armut verurteilt, gemieden und somit von der Gesellschaft ausgegrenzt werden. In der Regel über Generationen hinweg. Besonders wir Deutschen haben jedoch gelernt, dass Bildung ein zentraler Aspekt darstellt, für den Weg: „raus aus der Armuts- und Ausgrenzungsfalle“. Wir haben aber andererseits auch gelernt, dass es viele Hürden gibt für eine soziale Einbeziehung bisher ausgeschlossener Menschen oder Gruppen. Vor allem, das zeigt die Erfahrung, braucht es Befürworter und Förderer für einen Eingliederungsprozess. Aufgrund ihres Förderungszieles für soziale Projekte, bin ich daher ganz begeistert von der "SozialMarie". Sie ist ein österreichischer Preis, der für soziale Projekte verliehen wird und mit einem Geldpreis verbunden ist. Seit 2010 heißt er Preis für soziale Innovation.
Das Omama-Projekt
In diesem Zusammenhang ist mein persönlicher Favorit der mit 15.000 € dotierte erste Preis. Er ging an „The Omama Project“. Omama ist ein Hausbesuchsprogramm für die frühkindliche Entwicklung. Es soll eine Unterstützungsleistung sein für eine gesunde kognitive, soziale, körperliche Entwicklung von Roma-Kindern, welche in Armut leben und sich in der kritischsten Lebensphase der Kindheit zwischen 0-3 Jahre befinden. Hausbesuche werden von ausgebildeten Roma-Frauen aus den örtlichen Gemeinden durchgeführt. Sie sind befugt, einen Teil der Lösung zur Beendigung des Kreislaufs der Generationenarmut zu leisten. Vererbte Armut ist nach wie vor Grund für lebenslange Benachteiligung. Besonders gut gefällt mir am „Omama“ Projekt die Kombination von frühkindlicher Sozialisation und kultureller Weitervererbungsidee. Damit meine ich, den erzieherischen Ansatz, dass Frauen (Omamas) aus den eigenen Reihen in den Methoden der frühkindlichen Förderung geschult werden. Diese Kenntnisse werden wiederum an die Mütter, welche Kinder im Alter von 0-3 Jahren haben, weitergegeben. Ich glaube, dass dabei vertraute Lebensweisen der eigenen Kultur bewahrt werden können, was die Grundlage für ein vertrauensvolles, gelingendes Miteinander schafft. Außerdem finde ich die entstandenen Frauen- und Müttertreffs sehr sinnvoll. Hier können Diskussionen in Themengebieten wie Ernährung, Gewalt gegen Frauen und Kinder sowie Armut geführt werden. Dabei kann ein reger Erfahrungsaustausch stattfinden. Daher halte ich das Omama Projekt für eine Chance nicht nur den Kreislauf der Armut in den ethnisch segregierten Siedlungen der Romas in der Slowakei zu durchbrechen, sondern diese vor allem auch in die Mitte der Gesellschaft zu holen.
Als bedrohlich sehe ich jedoch an, wie in unserer undurchsichtigen Welt, in der viele poetische Clown-Nummern zu sehen sind, dieses tolle Projekt dauerhaft finanziert werden kann. So ein wissenschaftlicher Innovationspreis ist ja ganz schön, jedoch eher als einmaliges Eintrittsgeld zu verstehen, ungeeignet für ein dauerhaftes Bildungsprojekt. Auch in der Slowakei ist Bildung teuer. Erste Geldspenden kamen vor allem von Menschen, welche an dieses Projekt glaubten. Damit stellt sich jedoch auch die Frage, ob und ihn welcher Form, sich weitere Geldgeber finden lassen. Nur so mal nebenbei bemerkt, Bildung schafft Nachwuchs für den Arbeitsmarkt, wodurch wiederum Staat, Arbeitswelt und die Wissenschaft davon profitieren. An dieser Stelle möchte ich fairerweise hinzufügen, dass das Projekt mittlerweile tatsächlich einen beachtlichen Zuwachs an Einzelspenden aus Arbeitswelt und Politik gefunden hat. Für meine Augen sind dies jedoch noch immer zu wenig Spender um von einer dauerhaften Sicherstellung des Projekts sprechen zu können. Weitere mögliche Investoren fragen sich nun sicher, wie es denn mit einer wirtschaftlichen Kosten-Nutzen-Analyse aussieht, wenn Wirtschaftlichkeit pro 1 Kind im Omama-Projekt mit einem 10-fachen Rendite Rücklauf als Wertmaß angesetzt wird. In diesem Zusammenhang pulsiert es in meinen Adern heftig, wenn ich äußerst kritisch darüber nachdenke, ob ein wirtschaftlicher und sozialer Mehrwert eines solchen Projektes anhand Zahlen überhaupt messbar ist, zumal schließlich menschliche Wesen mit ihrer Endlichkeit und eben nicht leblose Produkte daran beteiligt sind. Das Paradox, gerade die zukünftige Wirtschaft braucht doch motivierte und engagierte Mitarbeiter als Basis für lebenslange Aktivitäten auf dem Arbeitsmarkt. Aber dafür müssen Kinder erst lernen, dass es sich lohnt, wenn sie sich für etwas einsetzen oder sich begeistern können. Dieser wünschenswerte Zugewinn wiederum liefert auch die Grundlage für ein persönliches und politisches Ziel, nämlich die Flucht aus der Armut.
Soziale Rendite schlägt die wirtschaftliche Rentabilität
Für mein Empfinden ist die soziale Rendite wohl ungleich höher als die wirtschaftliche Rentabilität uns verklickern möchte. Punkte des sozialen Mehrwerts wären, dass ethnische Spannungen in der Bevölkerung abnehmen wodurch ein sozialer Zusammenhalt entstehen kann. Das Land bekommt dadurch mehr Bürger, zugleich profitieren, wie oben bereits erwähnt, Unternehmen mit einem erhöhten Mehrwert durch mehr Mitarbeiter. Wenn darüber hinaus von Politik die Rede ist, frage ich mich allerdings schon, ob der Pantomime Staat seine Symbolik, und seine Gestik im Spiel beherrscht. Kennt er seinen Mitwirkungsauftrag, wie zum Beispiel in Punkto, ob und wie die Lücke zwischen Arm und Reich geschlossen werden kann. Oder, wie und wodurch innerhalb der Bevölkerung für einen sozialen Zusammenhalt gesorgt werden kann.
Unter nachhaltiger Entwicklung verstehe ich die Gestaltung einer Gesellschaft, die sich mit ihren Zielen, Lebensstilen und Handlungsstrategien nicht nur am Heute, sondern auch am Morgen ausrichtet. Das bedeutet, dass bei der Befriedigung aktueller Bedürfnisse die Folgen für alle Menschen und vor allem auch für künftige Generationen mitbedacht werden müssen. Nimmt man dieses Motto ernst, so könnte zum Beispiel eine gemeinsame Stiftung gegründet werden für ein zuverlässiges Gerüst und Auffangnetz. Erst dadurch, so befürchte ich, sind Zirkusdirektoren (Helfer) in der Lage sicher analysieren, planen und kalkulieren zu können, um weitere clevere und erfolgreiche Ideen und Hilfestellungen zu entwickeln. Sodass auch für über 3-jährige Seilkünstler und Hochseilartisten, die noch großes erreichen wollen, neu erlerntes weiter gestaltet und trainiert werden kann. Aus meiner Sicht, muss aus diesem Grund zum „Hereinspaziert, hereinspaziert“ aufgerufen werden, wenn es darum geht dauerhafte Verantwortung von allen beteiligten Institutionen einzufordern
Applaus, Applaus und Manege frei
So heißt es womöglich, wenn dieses Projekt mit der Aufgabe die Kinder mit der „heutigen großen, globalen Welt des Zirkus“ vertraut zu machen, Erfolg hat. Wenn Kinder eigene Fähigkeiten entwickelt haben und diese für einen gesellschaftlichen Fortschritt nutzen oder wenn sie gelernt haben Grenzen zu überwinden. Wenn also anstatt Armut eine ganz erstaunliche Menge an Akrobatik (Fähigkeiten), Körperbeherrschung und ungeahnte Talente herauskommen. Dann kann diese Vorstellung als „ausverkauft“ gelten, und somit als rentables Vorbild für andere Zirkuswelten bzw. Nationen, als ein Entkommen der Minderheiten aus dem „Todesrad“. Zum Abschluss möchte ich noch hinzufügen, dass selbst meine traditionsbewussten Eltern ihre Einstellung zur Zirkuswelt geändert haben. Sie plädieren heute für ein buntes miteinander aller Menschen. Als besonderes Highlight empfehle ich euch, liebes Publikum, besucht doch einmal das Varieté im Spiegelzelt und betrachtet die zauberhaften Lichtreflexionen!
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